12. September 2023

Interview mit unserem Lerntrainer Martin Winter

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Seit fast 20 Jahren Lerntrainer an der JVA Rockenberg

Martin Winter ist 58 Jahre alt, hat Biologie auf Diplom und dann Lehramt für Haupt- und Realschule studiert.

Lerntrainer wurde er, weil er im Studium einen Kurs über Jugend im Strafvollzug besucht und dabei die JVA Rockenberg kennengelernt hat.

Er ist seit 2005 Lerntrainer und hat seitdem 130 Jugendliche betreut.

 

RV: Herr Winter, was macht ein Lerntrainer:

Winter: Wir bereiten die Insassen der JVA Rockenberg, die ja ganz unterschiedliche Bildungshintergründe haben, auf ihre Prüfungen vor. Die einen gehen in der JVA zur Schule, versuchen den Hauptschulabschluss zu machen, die anderen sind Azubis und brauchen Hilfe, um sich auf ihre Abschlussprüfungen vorzubereiten. Ich habe angehenden Maurern, Malern, Bäckern, Köchen und vielen anderen geholfen. In Mathe brauchen fast alle Jugendlichen Hilfe: Ich helfe den Maurer-Azubis z.B. beim Berechnen von Beton, weil sie eine Treppe gießen lernen müssen. Rezeptkunde ist für angehende Köche wichtig, weil sie ein Menu zusammenstellen lernen sollen. Andere unterstütze ich beim Schreiben von Bewerbungen. Und manchmal ist es aber auch schlicht Sozialarbeit, weil die Jugendlichen reden und Dampf ablassen wollen.

RV: Was muss ein Lerntrainer oder eine Lerntrainerin mitbringen?

Winter: Das Wichtigste ist, keine Angst zu haben! Man muss den Jugendlichen offen aber auch fest begegnen. Und man darf keine Platzangst haben und sich nicht von den dicken Stahltüren und den Gittern vor den Fenstern beeindrucken lassen. Fachlich kann das jeder und jede machen. Man muss Erfahrung in Nachhilfe haben oder Lehrer*in sein, im Referendariat oder auch pensioniert. Es ist auch hilfreich, wenn jemand Ahnung von den Berufen hat. Ich habe zum Beispiel während meines Studiums als Maurer gearbeitet und koche privat gerne. Das hilft beim Lerntraining sehr. Und was man noch nicht kann, schafft man sich dann drauf.

RV: Was sind die Herausforderungen?

Winter: Man muss sich daran gewöhnen, dass die Jugendlichen, die oft nett und witzig sind und mit denen man regelmäßig und manchmal über einen langen Zeitraum arbeitet, zum Teil wegen schlimmer Taten im Gefängnis sitzen. Taten, die schrecklich sind. Das bekommt man von der Leitung vorher nicht gesagt aber gerüchteweise sickert sowas oft durch und manchmal vertrauen einem die Schüler ihre Taten auch an. Und das ist dann ein Spagat, ein Konflikt, der nicht aufzulösen ist. Ich habe mir angewöhnt, diese Gedanken hinter mir zu lassen, sobald die schwere Metalltüre der JVA hinter mir zugeht. Das ist, glaube ich, wichtig.

RV: Warum haben Sie das all die Jahre gemacht, was ist das Schöne daran, Lerntrainer zu sein?

Winter: Es macht mir einfach Spaß, mit den Jugendlichen zu arbeiten. Viele sind witzig, haben einen speziellen Humor und ich bin mit schwierigen Leuten immer gut zurecht gekommen. Und es ist ein tolles Gefühl, wenn man seine Schüler so vorbereiten kann, dass sie, wenn sie aus dem Gefängnis kommen, eine Chance haben und ihr Leben wieder in den Griff kriegen können. Ich habe 2017 tatsächlich 4 Azubis gehabt, die ihre Ausbildung mit 1 abgeschlossen und danach tolle Jobs gefunden haben. Das ist natürlich die Ausnahme aber es ist einfach schön, etwas so Sinnvolles zu tun.